Was wurde aus Desertec?

Solarstrom aus der Sahara - das war die Idee von Desertec. Deutsche Konzerne witterten ein Milliardengeschäft. Doch es kam zum Streit, die Initiative versandete. Gestorben ist die Idee damit nicht.

Ein kleines rotes Quadrat auf einer Karte von Nordafrika, ein Farbtupfer inmitten der Sahara - viel mehr brauchte der kürzlich verstorbene Physiker Gerhard Knies nicht vor zehn Jahren, um Klimaschützer wie Konzerne gleichermaßen in seinen Bann zu ziehen: Eine Wüstenfläche von gerade einmal 300 mal 300 Kilometern reiche aus, um die ganze Welt mit Sonnenstrom zu versorgen.


Mit dem Kästchen auf der Karte warb Knies zusammen mit dem Club of Rome für eine kühne Idee: Warum nicht dieses gigantische Potenzial nutzen, um dort grünen Strom für Europa zu erzeugen?

Dass diese Vision Hand und Fuß hat, sollten Studien des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) belegen. Im Jahr 2050 könnten Solarkraftwerke in Nordafrika und dem Nahen Osten 17 Prozent des gesamten europäischen Strombedarfs decken und darüber hinaus noch Energie für die Verbraucher vor Ort erzeugen, rechneten DLR-Forscher aus. Dafür wären gerade einmal 0,3 Prozent der Wüstenflächen nötig. Gleichstrom-Leitungen könnten die Energie ohne größere Verluste in den Norden transportieren.

Das Mammutprojekt nahm Fahrt auf: Knies und seine Mitstreiter gründeten Anfang 2009 die Desertec-Stiftung. Ein paar Monate später kamen große Unternehmen hinzu - darunter RWE, E.on, Siemens, die Deutsche Bank und ABB. Sie bildeten gemeinsam die Desertec Industrial Initiative (DII).

Die Konzerne witterten in Finanzierung, Bau und Betrieb der Öko-Kraftwerke ein lukratives Geschäft. Auf immerhin 400 Milliarden Euro bezifferte das DLR die nötigen Investitionen. Der damalige Siemens-Chef Peter Löscher schwärmte vom "Apollo-Projekt des 21. Jahrhunderts".

Doch schon bald nach Gründung kam es zu Streit innerhalb der Initiative: Sollte der Strom tatsächlich in erster Linie nach Europa exportiert werden - oder wäre es nicht vernünftiger, damit vor allem die Menschen vor Ort zu versorgen? Schließlich wächst der Energiebedarf in Nordafrika und dem Nahen Osten rasant.

Saudi-Arabien etwa will in den nächsten fünf Jahren Solarkraftwerke mit einer Leistung von zusammen fast zehn Gigawatt installieren. In Abu Dhabi soll im Frühjahr 2019 die mit 1,2 Gigawatt weltweit größte Fotovoltaikanlage in Betrieb gehen. Die Leistung entspricht der von zwei Kohlekraftwerksblöcken. In Ägypten entsteht sogar eine Anlage mit 1,6 Gigawatt. Marokko baut gerade das größte Solarthermiekraftwerk der Welt - mit Unterstützung der Desertec-Stiftung, die hier beratend tätig ist. Der erste Bauabschnitt der Anlage liefert bereits Strom.

Erst der heimische Bedarf, dann der Export

Die Öko-Kraftwerke haben allein den Zweck, die heimische Nachfrage zu bedienen. Energieexporte sind derzeit kein Thema. Doch das wird sich mittelfristig ändern, ist Paul van Son überzeugt. "Mit dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien werden wir auch Exporte nach Europa oder Asien sehen", sagt der Innogy-Manager. Dabei sieht er den Handel nicht als Einbahnstraße: Die Partner könnten überschüssigen Strom austauschen, um Angebot und Nachfrage besser ins Gleichgewicht zu bringen.

Die Erwartung van Sons gründet darauf, dass die Kosten der erneuerbaren Energien momentan rasant fallen. So sollen viele der geplanten Fotovoltaik-Kraftwerke Strom für weniger als drei Cent pro Kilowattstunde erzeugen. Bei einem Vorhaben in Saudi-Arabien kalkulieren die Projektierer gar nur mit 1,5 Cent. Selbst Kohlekraftwerke können da nicht mithalten, Atommeiler schon gar nicht. Die Desertec-Vision vom Wüstenstrom für Europa - sie könnte also doch noch Wirklichkeit werden, auch ohne die deutsche Industrie-Initiative.